Die Predigt im Wortlaut:
Auf offener Bühne wird derzeit im britischen Unterhaus ein unglaublicher Polit-Krimi ausgetragen. Längst vergessen sind die Beweggründe und Ideale zur Bildung eines vereinten Europas, ebenso die Solidarität der Völkergemeinschaft. Es geht anscheinend nur noch um Macht und um die erhoffte nationale Vormacht, verbunden mit wirtschaftlichen Interessen und Vorteilen. Selbst der hehre Anspruch der britischen Vorzeigedemokratie scheint vergessen und wird taktischem Kalkül geopfert.
Keiner weiß, wie bei einer möglichen Neuwahl des britischen Parlaments letztlich die Mehrheit der Bevölkerung votieren würde, ob sie nicht vielleicht sogar mehrheitlich mit dem Agieren einverstanden wäre, weil es mehr eigene wirtschaftliche Vorteile und weniger gemeinsame Kasse mit der EU verspricht?
Wir brauchen also gar nicht in andere Länder oder andere Kontinente zu blicken, wo Macht ausgeübt wird, um eigenwillige Politik zu inszenieren; erschreckend, dass dies teilweise sogar Zustimmung findet, auch wenn es zu Lasten von Teilen der jeweiligen Bevölkerung oder des friedlichen Miteinanders mit anderen Ländern geht.
Eine rein diesseitsbezogene Betrachtungsweise der Welt und des Lebens führt zu egoistischen, unmenschlichen und unseriösen Verhaltensweisen im zwischenmenschlichen, privaten Leben und ebenso zu einem massiven und – wenn es sein muss – brutalen Streben nach wirtschaftlichem Vorteil.
In diesem Zusammenhang macht eine Aussage nachdenklich, die ich dieser Tage gelesen habe: Ein Islamforscher hat in einem Interview die Frage, warum sich sogar junge Menschen aus unserer Gesellschaft dem fundamentalistischen Islamismus zuwenden, mit der Feststellung beantwortet: „Weil sie die Haltlosigkeit dieser Gesellschaft und unserer Lebenskultur satt haben.“
Sicher ist das kein Grund, andere Menschen zu töten oder ihnen mit Gewalt vorschreiben zu wollen, wie sie zu leben haben, aber es muss als Mahnung verstanden werden, dass Entscheidendes bei uns in Unordnung geraten ist.
Damit sind wir bei der Aussage Jesu im heutigen Evangelium: Im Bild sowohl des Turmbaus als auch der Kriegspläne macht Jesus deutlich, dass wir bei allem, was wir tun, klug bedenken sollen, worauf es hinausläuft. Im lateinischen Sprichwort heißt es so: „Quidquid agis, prudenter agas et respice finem“ - „Was du auch tust, tue es klug, bedenke das Ende“.
Diese Grundhaltung gilt in der Erziehung, im Umgang der Partner miteinander, in der Welt der Arbeit und Wirtschaft, in der Politik der Welt, einer Gesellschaft, einer Gemeinde, in Fragen der Ökonomie wie auch der Ökologie und der Ethik usw. Es kommt im Leben immer auf den Weitblick an. Wer nur den Augenblick sieht, erkennt nicht rechtzeitig, wenn er in Gefahr ist an die Wand zu fahren.
Zunehmend mehr kluge Leute, die sich nicht aus materiellem Interesse mit unserem Leben und Zusammenleben befassen, fragen im Blick auf die immer selbstverständlichere Beliebigkeit, die das Tun und Verhalten der Menschen heute kennzeichnet, nach dem Plan für unsere Gesellschaft, nach der inneren Verfassung der Menschen, die sich so ausdrücken lässt: „Du musst nur machen, was du willst, nur was dir Spaß macht!“ Wohin diese Erziehungsmaxime führte und führt, erleben wir immer deutlicher.
In der Lesung aus dem Buch der Weisheit haben wir gehört: „Welcher Mensch kann Gottes Plan erkennen, oder wer begreift, was der Herr will? Unsicher sind die Überlegungen der Sterblichen und einfältig unsere Gedanken …“ und „Wer hat je deinen Plan erkannt, wenn du ihm nicht Weisheit gegeben …“ und „die Menschen lernten, was dir gefällt; durch die Weisheit wurden sie gerettet.“
Aber selbst in Fragen des Glaubens basteln sich heute viele ihre eigene Religion zusammen. „Patchwork-Religion“ heißt es neudeutsch, wenn Menschen sich von jedem ein bisschen nehmen und glauben, so nach ihrer Fasson selig zu werden, und dabei den Anspruch Jesu und seiner Botschaft völlig entkräften, sie vielleicht nur auf ein paar soziale Hinweise reduzieren.
Dem widerspricht Jesus im heutigen Evangelium, wenn er konsequente Nachfolge fordert. Ganz gewiss will er die menschlichen Bindungen an Eltern und Geschwister nicht unterbewerten, aber er macht deutlich, dass über allem die Bindung zu Jesus stehen muss, die Bereitschaft ihm und seinem Weg zum Leben zu folgen.
Sein Kreuz zu tragen und ihm nachzufolgen, das kann z. B. bedeuten, den Mut zum Widerspruch aufzubringen – ob zu unguten Entwicklungen etwa im Leben von Heranwachsenden, zu riskanten oder unmenschlichen Praktiken am Arbeitsplatz oder zu bedenklichen Entwicklungen in der Gesellschaft oder besorgniserweckenden Entwicklungen in der Welt.
Widerspruch geschieht gewiss oft durch klare Stellungnahmen, aber vor allem durch eine persönliche Haltung und Lebenspraxis, die nicht nur auf das eigene Wohl bedacht ist und für sich alle Vorteile herausholen will – gerade dadurch sollen Christen in der Welt auffallen.
Was sich derzeit in der politischen Entwicklung in Großbritannien abspielt, ist letztlich die Auswirkung der Denkweise der Akteure. Gerade deshalb sollten Christen sich engagieren und mitwirken, das Miteinander der Menschen wie der Völker friedvoll und lebenswert zu gestalten.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Das Kreuz des Jesus Christus
durchkreuzt was ist
und macht alles neu
Was keiner wagt, das sollt ihr wagen
Was keiner sagt, das sagt heraus
Was keiner denkt, das wagt zu denken
Was keiner anfängt, das führt aus
Wenn keiner ja sagt, sollt ihr’s sagen
Wenn keiner nein sagt, sagt doch nein
Wenn alle zweifeln, wagt zu glauben
Wenn alle mittun, steht allein
Wo alle loben, habt Bedenken
Wollen alle spotten, spottet nicht
Wo alle geizen, wagt zu schenken
Wo alles dunkel ist, macht Licht
(Lothar Zenetti)