Die Predigt im Wortlaut:
„Klimanotstand auch in Deutschland ausrufen“, das fordert eine Organisation namens „Extinction Rebellion“, deren zumeist jugendliche Aktivisten sich vorgestern am Zaun vor dem Kanzleramt angekettet hatten. Ähnliche Proteste gab es bislang in Leipzig, London und Edinburgh. „Extinction Rebellion“ heißt übersetzt „Rebellion gegen das Aussterben“ und hat ihren Ursprung in Großbritannien. Mit der Protestaktion in Berlin fordern sie, „der ökologischen Krise und ihrer Lösung höchste politische Priorität in Deutschland“ einzuräumen. Dazu gehöre, dass die Regierung „die Fakten nicht verschleiert oder beschönigt, sondern aktiv kommuniziert und weitreichende Maßnahmen auch gegen wirtschaftliche Interessen“ ergreife.
„Klimanotstand“ – für mich geht es dabei um weit mehr als nur um die ökologische Krise bzw. die Gefährdung unserer natürlichen Umwelt oder, wie die jungen Aktivisten befürchten, um die Zerstörung des Planeten. Der besorgniserregende Umgang mit den natürlichen Ressourcen, mit der uns anvertrauten Schöpfung, ist für mich eine Auswirkung eines Welt- und Menschenbildes, das den Blick für den Schöpfer, für Gott verloren hat. Es geht also um das geistige und geistliche Klima, in dem sich unser Leben bewegt.
Der Protest gegen einen von Menschen verursachten, letztlich gefährlichen, ja sogar zerstörerischen Umgang mit der Schöpfung und dem Leben muss deshalb grundsätzlicher bedacht und angegangen werden. Die von vielen unterstützte „Fridays for Future“-Proteste, hinter denen längst nicht mehr nur Jugendliche und Schüler stehen, sondern – wie einige Kommentatoren es beschreiben – auch deutlich politische, sogar parteipolitische Interessen, sollte deshalb nicht nur die Sorge um die natürliche Umwelt thematisieren, sondern über das Fundament unseres Lebens und Zusammenlebens sprechen und den Blick, mehr noch das Bewusstsein dafür weiten.
Dass es weniger auf die öffentliche Demonstration gegen die Klimabedrohung ankommt, sondern auch die grundsätzliche Sicht des Lebens klar sein muss, wird für mich u.a. durch eine aktuelle Umfrage deutlich, wonach im Kampf gegen den Klimawandel eine klare Mehrheit der Deutschen zum Verzicht bereit zu sein scheint; wenn es aber konkret wird, ändert sich die Lage: Verteuerte Spritpreise akzeptiert nur jeder vierte, und für Ökostrom sind nur zwanzig Prozent bereit mehr zu bezahlen. Es gibt also eine deutliche Differenz zwischen der theoretischen Forderung und der konkreten Bereitschaft zu einem veränderten Verhalten.
Die „Fridays for Future“-Macher appellieren an ein „politischesVerantwortungsbewusstsein“. Genau dieses muss das Leben insgesamt und den Menschen im Besonderen, seinen Ursprung, den Sinn und das Ziel seines Lebens im Blick haben und von daher das friedvolle Zusammenleben, soziale Gerechtigkeit wie auch soziale Marktwirtschaft, Bildungschancen für alle, den inneren Frieden in der Gesellschaft und den äußeren Frieden in der Weltgemeinschaft bedenken. Dabei geht es also auch um ökologische und ökonomische Fragen, aber vor allem um Menschenwürde, die Unantastbarkeit des Lebens und die Wertschätzung für die gute Schöpfung Gottes.
Die große Gefahr unserer Tage besteht darin, dass der Mensch nicht mehr als Geschenk der Schöpfung, des Schöpfers erlebt wird, sondern zum Produkt eigener Machbarkeit verkommt. Anfang und Ende menschlichen Lebens stehen mehr und mehr unter der Verfügbarkeit des Menschen. Im Blick auf die Gentechnik, die Reproduktionsmedizin aber auch auf das Ende des Lebens drängt sich die Frage auf: „Darf der Mensch wirklich alles tun, was er kann?“
Weil immer mehr Menschen von dem Bewusstsein getragen sind, selbst die Höchsten, Größten, Wichtigsten zu sein, gehen sie entsprechend mit dem Leben, ihren Mitmenschen und auch mit der natürlichen Umwelt um. In diesem überzogenen Selbstbewusstsein gilt dann nur das, was in das eigene Weltbild passt und dem eigenen Vorteil dient.
Die Antwort darauf kann nicht der in meinen Augen ungenügende Versuch sein, die Symptome, die Auswirkungen eines verantwortungslosen Umgangs mit der natürlichen Umwelt anzuprangern, vielmehr kommt es jetzt darauf an, die Wurzeln der bedenklichen Entwicklungen offen anzusprechen und sich auf den Ursprung des Lebens zu besinnen. Dazu braucht es einen weiten Blick über das Vordergründige hinaus, es braucht bei allem Tun das Bewusstsein der Verantwortung vor Gott und den Menschen. All das beginnt mit der Gewissens- und Persönlichkeitsbildung, also mit der Erziehung, die nicht nur Wert auf die kognitive Bildung der Kinder legt. Vor allem diese im Blick zu haben, würde letztlich den Anforderungen der Verwertbarkeit und Ökonomie folgen, um die Heranwachsenden fit zu machen für den Markt.
Damit bin ich bei dem Signal, das von Fatima ausging und noch heute Bedeutung hat. Papst Johannes Paul II. hat an der Wende zum 21. Jahrhundert an die Botschaft von Fatima erinnert vor dem Hintergrund der schlimmen und auch grausamen Ereignisse des zwanzigsten Jahrhunderts. 1917, als der erste Weltkrieg tobte, wurde den Menschen der Hinweis auf eine größere Wirklichkeit gegeben, die das Leben in einem geistlichen Horizont sieht, für den die heutige Geisteshaltung, die stark vom Rationalismus geprägt ist, keinen Sinn hat.
Der Papst erinnerte daran, dass Erscheinungen und übernatürliche Zeichen die Geschichte unterbrechen und überraschen und auf den „zentralen Gegenstand der Verkündigung Christi zulaufen: die Liebe des Vaters, der die Menschen zur Umkehr bewegt und die Gnade schenkt, sich … ihm zu überlassen.“ Das ist auch die Botschaft von Fatima, die zur Umkehr ruft und vor weiteren Gefahren warnt.
In der Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja wurde uns in diesem Gottesdienst die ermutigende Botschaft zu Gehör gebracht: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf …“ Der Hinweis auf das wegweisende Licht für eine lebenswerte Zukunft, die letztlich in Gott ihre Vollendung findet, mündet in die Voraussage: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende …“
Den Weg für die Menschwerdung hat, wie uns im Evangelium verkündet wurde, Maria geebnet mit ihrer Offenheit für Gott: „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ Auch wenn sie die Situation nicht durchschaut hat, offensichtlich sogar verunsichert war, weshalb der Engel sagte: „Fürchte dich nicht, Maria …“, trotzdem vertraute sie der Botschaft Gottes: „… die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.“ So aber bahnt sich das Leben, das von Gott kommt, den Weg in die Welt, zu den Menschen: „Denn für Gott ist nichts unmöglich.“
Aus meiner tiefen Überzeugung und dem Glauben an Gott heraus und im Vertrauen auf die Wahrheit seiner Botschaft wage ich deshalb zu sagen: Im Blick auf die Probleme unserer Tage braucht es mehr als noch so leidenschaftliche Diskussionen und publikumswirksame Aktionen, die nur die Symptome eines bedenklichen Umgangs mit dem Leben und den natürlichen Ressourcen im Blick haben. Es braucht die grundsätzliche Einstellung und Haltung zum Leben insgesamt., Es braucht ein geistiges Klima, das dem Leben dient. Das beginnt mit dem Respekt vor der Würde des Lebens schon bei seiner Entstehung über den Umgang mit seiner Einmaligkeit und seinem Wert, auch wenn es schwach und behindert ist, und reicht bis zu seinem natürlichen, von Gott verfügten Ende. Damit zusammen hängt auch der Umgang mit der natürlichen Umwelt, der guten Schöpfung Gottes, die wir – SEINEM Auftrag entsprechend – bebauen und pflegen sollen, so dass auch die nachfolgenden Generationen in ihr gut leben können, und die wir deshalb nicht ausbeuten und zerstören dürfen.
„Klimanotstand auch in Deutschland ausrufen“, das fordert „Rebellion gegen das Aussterben“. Leider Gottes erleben wir immer mehr Notstand und zwar nicht nur im Blick auf die Bewahrung der Schöpfung, sondern auch beim Umgang mit dem Leben, das mehr und mehr in die Verfügung des Menschen gerät. Deshalb braucht es mehr als irgendwelche Reglementierungen und weitere Vorschriften, es braucht den Blick für Gott, den Schöpfer des Lebens und das Vertrauen in IHN. In diesem Klima kann Leben entstehen, sind Menschen in der Lage, sich bewusst zu entscheiden und überlegt und verantwortungsbewusst zu handeln. So wird die Welt zum Lebensraum, in dem Gottes Nähe erfahrbar ist.
Die jungen Leute der „Extinction Rebellion“ fordern, dass „die Fakten nicht verschleiert oder beschönigt, sondern aktiv kommuniziert“ werden. Das gilt nicht nur für CO2-Emissionen, für Erderwärmung und Artenvielfalt, das gilt insbesondere für die geistigen Grundlagen unseres Lebens und Zusammenlebens bzw. die Defizite, die wir wahrnehmen. Hierbei haben die Medien eine große Verantwortung im Blick auf die Haltung, die sie durch ihre Darstellungen und Deutungen der Vorgänge in der Welt und der Wirklichkeit erwirken.
Damit komme ich zum Schluss zu uns. So wichtig es ist, darum zu beten, dass Menschen sich – wie Maria – Gott öffnen und in SEINEM Geist handeln, so wichtig ist es auch, dass wir selbst als Christen in der Welt leben und wirken und so ein Klima des Vertrauens in die Lebensbotschaft Gottes schaffen, das unsere Mitmenschen überzeugt. Dann können wir uns gemeinsam auf den Weg machen, den uns Jesus mit SEINER Frohen Botschaft aufgezeigt und vorgelebt hat. Auf diese Weise werden dem geistigen und auch dem natürlichen Klimanotstand entgegenwirken.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung:
Herr,
ich sehne mich nach Menschen,
die das Wesentliche in mir wachrufen,
die mir helfen,
die Oberfläche zu durchstoßen
und die Tiefe zu entdecken.
Ich bitte dich um Menschen, Herr,
die so leben, wie du gelebt hast,
damit ich glauben kann, dass es dich gibt:
– das Wort das befreit,
– die Hand, die mich aufrichtet,
– das Licht, das die Finsternis erhellt,
– das Brot, von dem man leben kann,
– den Menschen, in dem Gott uns nahe war.
Viele brauchen einen Menschen,
vielleicht mich …