Die Predigt im Wortlaut:
Es geht um Grenzen! Bei der Wahl, zu der in diesen Tagen 400 Millionen Menschen in der Europäischen Union aufgerufen sind, geht es deutlich um Grenzen. Die einen wünschen sich ein grenzenloses Europa, in dem die Menschen sich frei bewegen und nach eigenem Ermessen ihren Wohnsitz wählen können, die anderen fordern Grenzen – zwischen den Ländern der Europäischen Union, vor allem an den Rändern nach außen, weil sie pauschal alle Fremden als Gefahr empfinden.
Aber nicht nur innerhalb der EU werden Grenzen gefordert, insbesondere geht es um die rund 60 Millionen Menschen, die rings um den Erdball unterwegs sind und nach einer besseren, lebenswerteren Zukunft suchen, weil sie ihre Heimat verlassen mussten oder verlassen haben, weil ihr Leben in Gefahr war.
Grenzen werden derzeit lautstark vor allem von jungen Menschen gefordert im Blick auf den Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Mit den wöchentlichen Protesten „Friday für future“ weisen Jugendliche wie Greta Thunberg und ihre unzähligen Mitstreiterinnen und Mitstreiter in vielen Ländern Europas auf die Gefährdung des Lebensraums für die gesamte Schöpfung hin. Mit seinem Bericht zur Lage der Menschheit hat der Club of Rome schon 1972 auf die Grenzen des Wachstums hingewiesen. „Global denken und lokal handeln“ war eine der Aktionen, die daraus entstanden ist.
Das für viele Zeitgenossen gütige Prinzip „immer mehr, immer größer, immer weiter“ wird von zunehmend mehr Menschen kritisch hinterfragt. Auch wenn manches persönliche Verhalten dabei inkonsequent ist, bleibt dennoch die Sorge um eine auch in Zukunft lebenswerte Welt, und diese Sorge ist ernstzunehmen.
Ländergrenzen und Grenzen im Umgang mit der Schöpfung sind nur zwei erste Stichworte. Wie die anscheinend grenzenlose Gier nach Geld das Denken und Handeln von Menschen beeinflusst, wird nicht nur an den nationalen und internationalen Finanzmärkten und durch das Agieren und Geschäftsgebaren einzelner Großkonzerne deutlich, sondern auch bei vielen spekulativen und riskanten Anlagegeschäften im privaten Bereich, wodurch manche Zeitgenossen weit mehr verloren haben, als sie zu gewinnen hofften.
Ein vierter Punkt, auf den es im Zusammenhang mit Grenzen hinzuweisen gilt, ist der Umgang mit dem Leben. „Darf der Mensch alles, was er kann?“, das gilt nicht nur im Blick auf die künstliche Züchtung menschlichen Lebens oder die Selektion von scheinbar geschwächtem und deshalb als unwert erachtetem Leben, die Frage gilt ebenso für die manipulativen Eingriffe in die Substanz menschlichen Lebens durch die Gentechnik, und sie gilt schließlich für die aktive Sterbehilfe.
Wenn wir dazu noch die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz einbeziehen, die das Denken und Verhalten von Menschen zu berechnen sucht, oder an die unheimlichen Vorgänge, die sich durch die modernen Medien auftun, dass Menschen aus dem Hinterhalt, anonym an den Pranger gestellt werden können, dann muss es bei der Diskussion um den „gläsernen Menschen“ auch um Grenzen gehen.
Selbst im Umgang mit dem eigenen Leben stoßen wir immer wieder an Grenzen. Z.B. ist unsere eigene Gesundheit nicht garantiert. Es gehört zu unserer menschlichen Existenz, das Leben mit seinen natürlichen Grenzen anzunehmen. Die Kunst des Lebens besteht schließlich darin, dies zu akzeptieren und dennoch voller Zuversicht seinen Weg zu gehen. Dazu gehört allerdings auch die Bereitschaft zu Solidarität und Unterstützung unserer Mitmenschen, wenn sie ihre eigenen körperlichen Grenzen erfahren.
Bei all den genannten Punkten wird jedenfalls EINES deutlich: Ein grenzenloses Leben, ein Leben ohne Verantwortung vor Gott und den Menschen – um an den 70. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes zu erinnern – schadet letztlich und zerstört Leben wie auch friedvolles Zusammenleben.
Damit bin ich bei dem Anlass unserer Zusammenkunft und dieses Gottesdienstes. Die sogenannten Feldgeschworenen markieren Grenzen. Sie ordnen damit Räume ohne einzuengen und sorgen so für Klarheit, damit Menschen ohne Konflikte miteinander leben können. Dieses Tun ist unverzichtbar für das Zusammenleben. Grenzen werden markiert, um Frieden, Freiheit und Offenheit zu ermöglichen. Es geht im Grunde um einen verantwortungsbewussten Umgang mit der uns anvertrauten Schöpfung; es geht darum, Grenzen zu beachten ohne einzugrenzen oder gar auszugrenzen, es geht vielmehr darum, eine gute Zukunft zu eröffnen.
Dazu ist die Botschaft höchst interessant, die uns heute als biblische Lesung zu Gehör gebracht wurde. Sie ist dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, entnommen. Der Verfasser, auch Seher genannt, zeigt in einer Vision auf, wie die Zukunft, das Leben mit und bei Gott sein wird:
„Die Stadt hat eine große und hohe Mauer mit zwölf Toren und zwölf Engeln darauf. Auf die Tore sind Namen geschrieben: die Namen der zwölf Stämme der Söhne Israels.
Im Osten hat die Stadt drei Tore und im Norden drei Tore und im Süden drei Tore und im Westen drei Tore.“
Die Stadt Gottes bietet also Lebensraum, Geborgenheit und Schutz und ist zugleich offen. In ihr strahlt die Herrlichkeit Gottes auf und wird erlebbar. Dort kann sich also Leben entfalten.
Für die Verantwortung, die wir haben, wird damit deutlich: Es kommt darauf an, so mit unseren Möglichkeiten umzugehen, dass die Menschen in Gerechtigkeit und Frieden miteinander leben können. Dazu braucht es aber immer wieder den Mut, auf die Grenzen hinzuweisen, die eben auch zu unserem Leben gehören.
Die Orientierung für unser Tun entnehmen wir nicht einer Ideologie, einer politischen Handlungsanweisung, sondern der Lebensbotschaft Gottes. Deshalb ist es ein starkes Zeichen, dass der Gottesdienst fester Bestandteil der alljährlichen Zusammenkunft der Feldgeschworenen ist. Von der Feier der Communio, der Gemeinschaft mit Gott und von daher der Gemeinschaft untereinander, werden wir alle in unsere jeweilige Verantwortung gesandt, um dem Leben wie auch dem Zusammenleben zu dienen.
Dazu sagt uns Jesus heute im Evangelium: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen.“ Wo Gott wohnt, wird die neue Stadt, Jerusalem, Stadt des Friedens, lebendig. „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch“, sagt Jesus.
Mit Eurem Dienst als Feldgeschworene setzt Ihr nicht einfach nur Grenzsteine, vielmehr setzt Ihr wichtige Zeichen, dass alles Leben Grenzen braucht, damit wir offen sein können für das Leben. Und wenn wir in Deutschland morgen zur Wahl gehen, wählen wir nicht nur Abgeordnete, sondern setzen auch Zeichen, wie Leben und Zusammenleben gelingen und dadurch Hoffnung, Zuversicht, Gerechtigkeit, Frieden und Miteinander möglich werden können. Grenzenlos wie auch eingegrenzt agieren sind falsche Wege. Ein Miteinander in Frieden in der EINEN Welt – darauf kommt es an. Grenzen sollten wir allenfalls denen setzen, die, ohne Gott, Leben gestalten wollen, nur an sich selbst und ihren Vorteil denken und die Welt und die Menschen behandeln, als wären sie die Herren des Lebens.
Mit Eurem Tun setzt Ihr wichtige Zeichen und deshalb ist Euer Dienst ein wichtiger Beitrag zu einem friedvollen Miteinander und einer gerechten und lebenswerten Welt mit Zukunft!
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de