Die Predigt im Wortlaut:
In Fladungen in der Hochrhön, wo ich vor 31 Jahren Kaplan war, hat der weithin sichtbare Kirchturm außen auf Höhe der Glockenstube einen Umgang. Von dort aus hat man früher über diese kleine Stadt in der Rhön Wache gehalten. An vielen Orten im Land war es so der Fall: Es wurde sowohl auf Gefährdungen für die Bevölkerung von außerhalb wie auch auf Gefahren innerhalb der Stadtmauer geachtet und aufmerksam gemacht.
So hat man z.B. die Bewohner in den Städten und Gemeinden im Mittelalter mit Glockenzeichen am Abend aufgefordert, nun alle offenen Feuerstellen im Haus zu löschen, damit in der Nacht kein Brand ausbrechen konnte. Aus diesem Feuer-abend wurde im Laufe der Zeit, als es keine offenen Feuerstellen mehr gab, der Feierabend, die Aufforderung also, nun die Arbeit ruhen zu lassen und sich die verdiente Ruhepause zu gönnen. Diese Aufforderung zum Feierabend wurde verbunden mit dem Dankgebet an Gott für seine Begleitung den ganzen Tag über, und für seine Zusage, den Bewohnern auch in der Nacht seinen Schutz zu schenken. Aus diesem Brauch entwickelte sich später das Morgenläuten, das aufrief, nun am neuen, von Gott geschenkten Tag ans Werk zu gehen in dem Wissen, dass Gott unser schöpferisches Tun und Schaffen, unser Bemühen um die uns anvertraute Welt begleitet.
Kirchenglocken sind also seit alters her nicht nur Zeichen der Warnung vor Gefahren, sondern auch ein Zeichen der Ermutigung zum Leben. So läuten die Glocken unserer Kirche am Samstagnachmittag den Sonntag ein. Wir dürfen beruhigt die Arbeit sein lassen und den Sonntag feiern. Gestern Nachmittag haben die Glocken den Sonntag und damit das Kirchweihfest eingeläutet, d.h. wir dürfen, noch besser der ganze Ort darf feiern!
Es ist doch wunderbar, wenn Menschen sich Zeit nehmen und gemeinsam feiern können. Ich empfinde es als sehr wohltuend, dass in diesen Tagen so viele Menschen hier zusammenkommen, einander begegnen und Freude daran haben, miteinander zu feiern.
Kirchweihfest, das bedeutet, wir feiern ein Fest, das viele unterschiedliche Menschen zusammenführt. Genau das war der Ausgangspunkt, der Ursprung für dieses Fest: Das fertiggestellte Gotteshaus hat allen Menschen, einerlei welcher sozialen Schicht sie sich zugehörig fühlten, ein gemeinsames Dach über dem Kopf geboten, sie also spüren lassen, dass sie bei Gott alle an einem Tisch sitzen. Und dem gemeinsamen Gottesdienst in der Kirche schloss sich dann das Fest aller im Schatten der Kirche an.
Ums Feiern geht es heute auch im Evangelium. Jesus ist es wichtig, dass durch das Miteinander beim Fest unterschiedliche Menschen zusammenkommen und sich dabei nicht unterschiedlich behandelt fühlen, sondern spüren und erleben, dass im Grund alle gleichwertig sind; dass sich aber auch niemand im Vergleich zu anderen mehr für sich herausnimmt.
Wir brauchen nicht erst auf die Schickeria und Schicki-Micki-Szene oder die Kaviar-Etagen in den Großstädten zu verweisen. Es ist ein urmenschliches Problem, das sich auch im Zusammenleben in unseren Dörfern bemerkbar machen kann, dass nicht nur zwischen den verschiedenen sozialen Schichten klare Abstufungen bestehen, sondern auch innerhalb der einzelnen Ebenen – wie im Evangelium genannt – nach „Ehrenplätzen“ geschielt wird, manchmal sehr konkret oder eben im Sinne von „sich einen Vorteil verschaffen“.
Jesus geht es um die geschwisterliche Gemeinschaft der Menschen. Was Jesus bei diesem Festmahl anmahnt und einfordert, das stellt er selbst unmissverständlich unter Beweis – für alle spätestens erkennbar – bei seinem letzten Abendmahl, wo er alle Erwartungen auf den Kopf stellt und er, als der Herr des Mahles, seinen Gästen sogar die Füße wäscht.
Das Leben wird letztlich weder für mich selbst und schon gar nicht für andere zu einem Fest, wenn ich nur darauf bedacht bin, für mich selbst möglichst viel herauszuholen. Aber das wird uns von verschiedenen Seiten – aus Medien wie aus Politik und Verbänden – als normal beschrieben. Es wird der Eindruck erweckt, als könnten alle Versorgungs- und Konsumwünsche der Bürger von der Allgemeinheit ermöglicht und finanzieren werden. Diese Wünsche entstehen vielfach aus dem ständigen Vergleichen, was andere haben und ich noch gerne hätte. Wobei sich für mich in diesem Verhalten auch Widersprüche zeigen. Da werden – selbst von Menschen mit kleineren Einkommen – Höchstgagen für Sportler, Musikgruppen und Schlagersänger akzeptiert und durch Eintrittsgelder mitfinanziert, gleichzeitig aber z.B. Gehälter für Menschen mit großer Verantwortung für das Gemeinwesen verteufelt. Neid ist aber kein guter Ratgeber – einerlei auf welchem Niveau.
Damit komme ich nach dem Hinweis auf das Kirchweihfest zu einem weiteren bedeutungsvollen Ereignis, an das uns der heutige Tag erinnert: Vor 80 Jahren, am 1. September 1939, brach der Zweite Weltkrieg aus mit dem Überfall der deutschen Armee auf Polen. Die nicht aufgearbeiteten Folgen des Ersten Weltkriegs sowie die Hybris „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ führte zu dem schrecklichen Krieg, der viel Leid in die Welt gebracht und den Untergang Deutschlands herbeigeführt hat. Die Erkenntnis und Lehre, die wir daraus ziehen können, ist: Wo Menschen sich über andere erheben, wo Schwache übersehen und geringgeschätzt werden, da wird die Welt unmenschlich.
Deshalb gilt mein dritter Gedanke dem Jubiläum „50 Jahre Gewichtheber“ – und das im Jubiläumsjahr „150 Jahre SG Randersacker“ –, das wir ebenfalls heuer begehen. Bei diesem Sport geht es nicht um persönliche Dominanz über andere. Es geht zunächst um die Fitness des Einzelnen, um die Muskelkraft, die er daraus bezieht, und von daher um die Mannschaftsstärke, durch die andere nicht niedergemacht werden, sondern im Vergleich zu gemeinsamen Erfolgen führt. Wie die errungenen Meisterschaften, die Teilnahmen bei nationalen und internationalen Wettbewerben zeigen, waren und sind die Gewichtheber der SG Randersacker stark. Stark sind sie aber nicht nur beim Messen von Kräften, stark ist vor allem der Mannschaftsgeist, der sich im Umgang miteinander zeigt. Das beginnt mit dem bewussten Grüßen mit Handschlag bis bin zur Offenheit für Menschen mit Handicaps, die im Kreis der Sportler ihre Stärken unter Beweis stellen können und um ihrer selbst willen akzeptiert sind. Es geht also nicht um das Triumphieren über andere, es geht darum, den Raum zu schaffen, dass ein Miteinander trotz aller Unterschiedlichkeit gelingt. Diesen Geist des Miteinanders brauchen wir heute ganz notwendig in unseren Gemeinden, in unserer Gesellschaft, in Europa, in der Welt.
Ich habe eingangs davon erzählt, dass früher von den Kirchen aus auf Gefahren hingewiesen wurde. Der christliche Glaube ist aber auch heute noch notwendig, um auf Gefahren im Leben und im Zusammenleben der Menschen hinzuweisen. Eine Gefahr, die ich sehe, und die noch schlimmer scheint als die materielle Armut in unserer Gesellschaft, ist – wie bereits angesprochen wurde – der Neid. Jesus spricht dieses Problem
im Evangelium an. Heute scheint mir in der sozialen Frage der menschlich faire und neidlose Umgang miteinander, bei dem sich die Menschen in all ihrer Unterschiedlichkeit achten, wertschätzen und sich gegenseitig annehmen und unterstützen, die entscheidende und notwendige Haltung zu sein. Ein Schielen nach besseren Plätzen, nach den vielen kleinen und manchmal auch größeren Vorteilen darf es unter uns nicht geben.
Gerade das Gotteshaus in der Mitte unserer Dörfer ist eine Einladung an alle, hier zusammenzukommen, sich ihrer Geschwisterlichkeit vor Gott und von daher ihrer Verantwortung füreinander bewusst zu werden. Dabei darf niemand übersehen oder abgedrängt werden. Jesus meint mit „Arme, Krüppel, Lahme, Blinde“ nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern alle, die sich im Leben schwer tun, ihren eigenen Wert zu erkennen und ihren Platz in der Gemeinschaft zu finden. Die Mahnung Jesu galt seinen Zuhörern damals im Haus eines der führenden Persönlichkeiten seiner Zeit, und sie gilt heute uns: „Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“
Das Kirchweihfest war von je her ein Fest aller mit allen. Die Glocken haben uns gerufen zu diesem Fest. Hier wird die Einladung Gottes zum gemeinsamen Fest weitergegeben. Hier hören wir miteinander auf die ermutigende Lebensbotschaft Gottes und feiern über den Gottesdienst hinaus voller Zuversicht das Leben, das uns gegönnt ist. Es wäre eine Gefahr für uns alle, wenn wir nicht mehr zusammenfinden und erkennen könnten, wie das Leben bereits zu einem Vorgeschmack des großen Festes werden kann, zu dem Gott uns alle eingeladen hat. Es ist zu unserem Heil, wenn die Glocken rufen und wir alle hier zusammenkommen – als Schwestern und Brüder, als Gemeinde.
Domkapitular Clemens Bieber
www.caritas-wuerzburg.de
Text zur Besinnung
Wo man andere liebt
Wo man andere liebt,
ist der Ort der Gemeinde,
die sich nach Christus nennt.
Wie er soll sie teilen
ihr Leben und heilen
die Kranken und Krummen
die Blinden und Stummen
sie soll sich erbarmen
der Schwachen und Armen
Wo die Liebe geschieht,
hat das Elend ein Ende,
da wird die Erde neu.
Wo man Unrecht bekämpft,
ist der Ort der Gemeinde,
die sich nach Christus nennt.
Wie er soll sie sprechen
für Recht und zerbrechen
die Herrschaft der Klassen
die Allmacht der Kassen
den Dünkel der Rassen
den Stumpfsinn der Massen
Wo Gerechtigkeit wird,
hat das Elend ein Ende,
da wird die Erde neu.
Wo Versöhnung geschieht,
ist der Ort der Gemeinde,
die sich nach Christus nennt.
Wie er soll sie künden
Vergebung der Sünden
inmitten von Waffen
soll Frieden sie schaffen
versöhnen die Feinde
als seine Gemeinde
Wo der Friede entsteht,
hat das Elend ein Ende,
da wird die Erde neu.
Lothar Zenetti